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Georg Zimmer besucht die alte Heimat: TV Artikel von 1953 |
Der Chor der 80 jährigen |
Ein Klassentreffen mit einem Gast
von "Drüben" |
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Schönecken/Eifel.
"Jungs, nun kommt doch mal zur Schule" sagte Georg Zimmer und ging los. Die neun
anderen folgten ihm. Sie liefen die Dorfstraße entlang zum Schulhaus, blickten in ihr
Klassenzimmer und drehten wieder um. Nicht etwa, weil jetzt Osterferien herrschten,
sondern weil die zehn an sich gar nicht mehr schulpflichtig sind. Jeder von ihnen zählt
nämlich rund 80 Lebensjahre und zusammengerechnet wanderten da 800 Jahre über die
regennasse Dorfstraße, genau genommen sogar 801. Sie liefen wieder zurück zum
Dorfgasthof, der ihnen für ihren Zweck gemütlicher erschien. Sie feierten nämlich
Klassentreffen. Kein alljährliches, sondern mehr ein zufälliges und damit besonders
denkwürdiges.
Schulkamerad Georg Zimmer war nämlich gekommen, direkt aus Amerika, von New
Jersey, dem kleinen Staat unterhalb der Millionenstadt Neuyork, nach Schönecken, dem
unbekannten Eifeldorf. Trotz seines hohen Alters hatte er sich auf diesen
Trip begeben
und wollte eigentlich "inkognito" sein Heimatdorf und seine alten
Spielgefährten besuchen. Es war ein Heidenspaß um den Tisch, als er erzählte, daß er
aus diesem Grunde nach seiner Ankunft auf dem Kölner Hauptbahnhof zunächst zum
"Zauberkönig" auf der Hohestraße ging, um sich einen schönen Vollbart und
eine Perücke zu kaufen. Aber das, was er suchte, fand er leider nicht. Und so fuhr er
weiter nach Prüm. Hier machte ihm das Schicksal den zweiten Strich durch seine Rechnung.
Denn die Schulkameraden Michel und Leonard eilten auf ihn zu, umarmten ihn und |
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1880 war es für die
meisten der erste Schuljahrgang. 1953 haben sich die Klassen- kameraden in Schönecken in
der Eifel auf der Treppe der Schule aufgereiht. Unter ihnen Georg Zimmer, der zu diesem
Treffen aus den Vereinigten Staaten in sein Heimatdorf kam.
Scan: Foto Helga Neumann /TV 1953 |
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waren aufs tiefste gerührt. Er sagte ihnen: "Jungs, pscht, nichts
sagen, das soll eine Überraschung für Schönecken werden!" Der eine von den beiden
fuhr, so belehrt, voraus und nahm schon den Koffer mit. In Schönecken fragte man ihn
natürlich, was er denn mit dem Koffer wolle. Während er noch krampfhaft nach faulen
Ausreden suchte, entdeckten aber die pfiffigen Schönecker die vielen bunten
amerikanischen Kontrollzettel und die der Schifffahrtsgesellschaft. Damit zerann auch die
letzte Chance des Incognito-Besuchers. "Na Jungs, denn Prost!" beendete Georg
seine Erzählung. Da die Amerikaner im familiären Ton alles zwischen Wiege und Sarg mit
"boys" bezeichnen, schlug Georg diesen Ton auch in Schönecken an. Doch mit der
Zeit der Unterhaltung empfanden die 80jährigen diese Bezeichnung als angenehmes
Kompliment. Zwischendurch wurde das Schönecker Lied angestimmt, und Georg Zimmer zückte
seine Stimmgabel dazu. Nötig war sie nicht, denn sie sangen wie in alten Schultagen
fehlerfrei und sogar dreistimmig. Die Geschichte mit der Stimmgabel kannten sie. Doch bei
diesem Heimatbesuch soll sie nun ein gutes Ende finden. Kurz bevor er 1892 nach den USA
auswanderte hatte er sie als Halbwüchsiger einem guten Bekannten geklaut. Andere
schleppen vierblättrige Kleeblätter, Hufeisen, oder Schornsteinfeger als
Talisman mit
in die Fremde. Für Georg war es eben die Stimmgabel. Sein Schönecker Lehrer hatte immer
behauptet, daß aus ihm nichts würde, und hatte ihm oft auf die Finger |
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geschlagen. So wie er
in den Staaten seinen Weg nach oben gegangen war, so wuchs auch der Wert der Stimmgabel.
Denn es gibt dort einen deutschen Gesangverein - es gibt sogar derer viele - und jedes mal,
wenn Georg erschien, rief es im Chor: "George Stimmgabel raus". Und weil sie auf
A abgestimmt ist, mußte 60 Jahre lang jedes Lied mit diesem Ton beginnen - egal ob
Tenöre oder Bässe dabei Schwierigkeiten hatten. Er hatte sie mitgebracht und wird sie
nun dem Gesangverein von Schönecken stiften, um sich damit "von aller Schuld
freizumachen".
Das erzählen nahm kein Ende. Und es wir auch die nächsten 14 Tage so weitergehen,
die der Schulkamerad von drüben noch in der Eifel verleben will. Die Verständigung
untereinander ist keineswegs schwierig, denn Georg Zimmer spricht auch heute noch nach
60jähriger Abwesenheit Eifeler Platt. "Wenn mir einer weiß machen will, nach vier
Jahren USA-Aufenthalt die deutsche Sprache nicht mehr zu beherrschen, so ist das nur ein
billiger Angeber" stellte er kategorisch fest. Als er damals in Neuyork das Schiff
verließ, setzte er seinen Koffer auf die Kaimauer, um sich die Stadt mal erst etwas
anzusehen, da der, der ihn abholen sollte, noch nicht erschienen war. Als er nach geraumer
Zeit zurückkehrte, saßen da so ein paar Männer, sahen seinen Koffer an, dann ihn und
meinten, dass er wohl nicht von hier sei. "Nein, aus Schönecken in Deutschland"
erklärte er. "Kann man denn da so einen Koffer auf der Straße stehen lassen?".
"Doch, doch", entgegnete er überzeugend, "das kann man da getrost
tun". |
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