Amerika-Auswanderer aus dem Amt Schönecken im 19. und 20. Jahrhundert
Dokument über Schiffsverpflegung und Zustände anno 1848 während der Überfahrt nach Amerika im Originaltext.

Schon aus dieser Übersicht ergiebt es sich daher, das beide deutsche Hafenstädte die reichlichste, aus haltbaren Nahrungsstoffen bestehende Verpflegung haben, da auf die Kartoffeln in den nicht mit Zuversicht zu zahlen ist und jedenfalls 5 bis 6 Pfund davon nur ein Pfund Brot gleich zu rechnen sind. Auch darf es nicht unerwähnt bleiben, daß die deutschen Verschiffer bei dem oben erwähnten Proviante nicht stehen bleiben, sondern auch noch einige Zugaben *** an Kaffee, Thee, Syrup, Zucker, Hafergrütze, Sago, Wein nebst anderen Kleinigkeiten und einer Medizinkiste machen, wodurch die Ausrüstung, des geringen Passagengeldes ungeachtet, so vollständig als möglich geschieht. In fremden Häfen wird dagegen von den zuletzt genannten Artikeln nichts verabreicht, und Wer sie haben will, muß sie aus eigenen Mitteln bestreiten. Vergleicht man nun ferner eine von Antwerpen und Hamburg nach New York gemachte Ausrüstung 100 erwachsene Köpfe, so stellt sich folgendes Verhältnis klar vor Augen:
Für 100 erwachsene Köpfe:

Antwerpen:

Hamburg:

Ochsenfleisch ............................................... 0 Pfund 3260 Pfund
Schweinefleisch ............................................ 1500 " 1300 "
Reis ............................................................. 500 " 0
Mehl ............................................................ 500 " 4550 "
Erbsen, Bohnen, Graupen, Pflaumen, Sauerkohl. 0 " 0
Kartoffeln ...................................................... 6000 " 3600 "
Butter ........................................................... 500 " 462 1/2 "
Schiffbrod ..................................................... 5000 " 6900    "

Feste Nahrungsstoffe

14000

Pfund

19662 1/2 Pfund
In diesen beiden Gewichtsangaben ist die Verproviantierung der Leute nach der in beiden Häfen stattfindenden Vorschrift berechnet; da jedoch auch diese von einigen der besonderen Verschiffer in Hamburg und Bremen überschritten wird, so folgt hier noch eine Aufstellung der Verpflegungs(xxx?) welche der leitende Direktor der hiesigen nord- und südamerikanischen Schiffahrtsgesellschaft Captain M. Valentin auf seinen Schiffen eingeführt und bisher unverbrüderlich befolgt hat:

Für 100 erwachsene Personen nach New York.

Ochsenfleisch 3250 Pfund Sauerkohl 975 Pfund
Schweinefleisch 1300 " Kaffee 162 1/2 "
Pflaumen 487 1/2 " Thee 81 "
Graupen 650 " Zucker 326 "
Mehl 975 " Butter 650 "
Gelbe Erbsen 975 " Brod 6500 "
Grüne dito 487 1/2 " Syrup 203 1/2 "
Reis 162 1/2 " Wein 329 Flaschen
Linsen 975 " Kartoffeln 3000-4000 "
Bohnen 487 1/2 "
*** Gleichgestellt in Gemäßheit gesetzlicher Vorschrift, geistige Getränke ausgenommen.
Hafergrütze, Sago, Salz, Senf, Pfeffer, Essig, Flieder, Kamillen nach Gutdünken nebst einer Apotheke und 100 Apfelsaft Wasser. Bei dieser Verpflegung, die beste, welche mir bekannt ist, werden also auf 100 Mann 20875 Pfund solide Nahrungsstoffe eingenommen. Aus diesen Angaben geht nun gewiss klar genug hervor, dass die sogenannten billigen Überfahrtspreise über fremde Häfen bloß auf Täuschung beruhen, und dass der deutsche Auswanderer aus Unwissenheit gerade diejenigen Wege einschlägt, die seine und seiner Familie Gesundheit und Leben untergraben, des Umstandes nicht zu vergessen, daß auf bremer und hamburger Schiffen nicht nur Frachtgelder und Proviant, sondern auch noch Thaler 20 pro Person mehr als eingezahlt versichert werden, damit die Auswanderer, falls dem Schiffe ein Unglück begegnete, dennoch an den Ort ihrer Bestimmung gebracht werden könne, ohne ihnen deshalb die mindeste Last oder Sorge aufzubürgen.
Nach dem nun die Frage der Beförderung über fremde und deutsche Häfen erledigt ist, und welche von beiden den Auswanderer die meisten Vortheile darbieten, wird es nicht überflüssig sein, einige der Greuel zu bezeichnen, welche aus der oben erwähnten schlechten Verproviantierung in fremden Häfen entstanden sind, während bei den von Bremen und Hamburg beförderten Schiffen meines Wissens noch keine Spur davon vorgekommen.
Blickt man in dieser Beziehung bloß um 2 Jahre zurück, welche Gemälde von Elend und Jammer drängen sich nicht dem Beobachter auf: Da haben wir zunächst 72 Auswanderer aus Großzimmern welche auf dem XXXX? Capitain Burrow über Liverpool nach New York verkehrten, und schon nach Verlauf dieser kurzen Frist nagenden Hunger gelitten hatten.
Nur Schiffbrod und Wasser blieben ihnen noch während der letzten zehn Tage dieser unglücklichen Reise übrig, woraus man deutlich sehen kann, das die Leute höchsten für einen Monat Proviant an Bord haben konnten. Eine ähnliche Scene ereignete sich bei einem anderen Theile derselben Auswanderer auf dem Schiffe "Pontiac" von Liverpool, welche 63 Tage zur Überfahrt nach New York gebrauchte und 19 Verhungerte an Bord hatte, worunter fünf Deutsche!
Über 200 jener Auswanderer kamen in die Spitäler. Wieviel von unseren Landsleuten im letzten Jahre auf der Überfahrt nach Quebec an Typhus und Hunger gestorben sind, kann gar nicht genau bestimmt werden; wenn man aber die von dort eingelaufenen schauderhaften Berichte zur Hand nimmt, so kann man sich einen Begriff von dem traurigen Schiksale machen, in welche tausende unserer Landsleute gerathen sein mögen. Auch von Südamerika, namentlich Brasilien, laufen beständig klagen über die schlechte Verpflegung der Leute an Bord von Auswandererschiffen, von Havre, Dunkirchen und Antwerpen kommen.
Von 180 Menschen auf der "Virginia" von Dünkirchen waren 16 gestorben und viele der lebendig angekommenen entkräftet und aus Mangel an hinlänglicher Nahrung beinahe sterbend. Selbst dieser Tage noch lief ein mit 210 Auswanderern befrachtetes Schiff, von Antwerpen kommend, im Plymouth ein, um einer Hungersnoth vorzubeugen, da der eingenommene Proviant so schlecht war, dass er schon in den ersten Tagen in Fäulnis überging und den Wellen überliefert werden musste.
Dies sind nur einige wenige Beispiele von den traurigen Folgen, welche mit der Auswanderung über fremde Häfen verknüpft sind, und wollte man sie alle zusammen zählen, so würde damit kaum zu Ende kommen, und deshalb die Sache doch nicht besser machen, wenn nicht die hohe Regierungen sich ins Mittel legen und öffentliche Warnungen an die Kreisämter, Bürgermeistereien etc. etc. gegen die Verschiffung über die mehrfach gedachten Häfen ergehen lassen, ausgenommen man mache sich dort obrigkeitlicher Gewährleistung verbindlich, auf gleiche Weise wie in Hamburg und Bremen auszurichten, wodurch alsdann die Passagegelder gewiss höher als in Deutschland sich stellen werden.
In Betreff der bisher angeführten Thatsachen ist es also einleuchtend und erwiesen, dass die Verpflegung der Auswanderer am Reinlichsten und Besten in Hamburg geschieht, und dass auch Bremen dem Gewichte nach mit der hiesigen Vorschrift übereinstimmt, dagegen aber rücksichtlich der Beschaffenheit der eingelegten Nahrungsmittel mit dem unsrigen nicht auf gleicher Stufe sich erhält. Bremen hat leider immer auf billige Überfahrtspreise hingezielt und die Concurrenz auf einem Grad betrieben, dass diese Billigkeit nur auf Kosten der Güte der Lebensmittel und durch Raumbeschränkung, in beiden Fällen also zum Nachtheile der Auswanderer erzielt werden konnte.
Darum führt immer auch in Bremen das schlechte, amerikanische Fleisch ein, um die Auswanderer damit zu speisen, und das Brod ist kaum genießbar, während in Hamburg beide Gegenstände von guter Beschaffenheit geliefert werden, obgleich es auch nicht in allen Fällen geschieht, und manche Uebertretungen auch hier schon vorgekommen sind. Dergleichen Kniffe wären indes leicht zu hintertreiben, wenn in Hamburg und Bremen, außer den dort von den Behörden ernannten, beeidigten Besichtigern noch eine weitere Controlle in der Person eines rechtschaffenen und tüchtigen Seemannes angestellt und von den Staaten Deutschlands besoldet wäre, damit die Auswanderer gehörig vertreten, ihre Rechte gewahrt, und die Gesetze aufrecht erhalten würden.
In den oben genannten fremden Häfen müsste dasselbe geschehen, und solche Männer den Konsulen stets beigestellt werden, da die letzteren von dergleichen Dingen gewöhnlich nichts verstehen. Dadurch allein würde beiden Theilen Recht geschehen und die Auswanderer wären geschützt, während sie jetzt die Beute der Franzosen, Engländer, Belgier und Holländer werden.
Die allerschlechteste Beförderung findet übrigens über Liverpool statt, vor welchem Raubmaße nicht genug gewarnt werden kann.
Schließlich bleibt noch der Umstand zu erwähnen, dass viele Auswanderer des südwestlichen und westlichen Deutschlands bisher auch die Reisekosten nach Hamburg und Bremen scheuten weil sie theurer waren, als nach Havre, Antwerpen, Rotterdam und London; allein seit kurzem ist aus diesem Missverhältnis behoben, da die Eisenbahn von Cöln bis Bremen und Harburg die Leute für extra 1 ½ Thaler befördert und ihnen überdies 100 Pfund Gepäck frei erlaubt.
Die Reise ab Mainz kann daher bis Harburg und Hamburg oder Bremen in drei Tagen zurückgelegt werden, und ist folglich kein Grund mehr vorhanden, warum nicht der bessere und in der That billigere Beförderung über die beiden deutschen Hafenstädte jeder anderen vorgezogen werden sollte. Mögen diese Worte geeigneten Ortes willfährige Beherzigung finden!
Hamburg im October 1848
gez. Schmidt, Dr. Ph.
Anmerkung der Redaktion:
Der größte Teil der hiesigen Auswanderer schiffte über Antwerpen in die USA aus, auch Bremen war stark vertreten, der kleinste Teil wanderte über Hamburg aus.

Entziffert von Nikolaus Arenth, Schönecken im Dezember 2009.

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